Hilfstransport 2021; 4.–11. Juli 2021
Judith Krauer, Raphael Wild und Irmgard Wild
In den letzten Monaten machte uns COVID-19 einen grossen Strich durch all unsere Pläne. Mehr als ein Jahr konnten wir nicht nach Rumänien reisen. Wir behalfen uns darum mit Online-Meetings und häufigeren Kontakten über SMS/WhatsApp und Social Media Kanäle.
Unseren grossen Hilfstransport hatten wir dieses Jahr mit einem Lastwagen, der direkt von Rumänien kam, abgewickelt. Wir konnten damit ca. 26m3 Material aus Versoix und Burgdorf zu einem sehr guten Preis ins Kinderhaus senden. Dieser Transport fuhr am 19. März nach Odorheiu und die Abwicklung über den Zoll gestaltete sich erstaunlich einfach. Auch wenn unsere Partnerin in Odorheiu dazu einige Stunden am örtlichen Zoll ausharren musste. Aus Kostengründen müssen wir auch künftig diesen Versand wählen – das einzige, das uns dazu fehlt, ist ein grosser Lagerraum.
Auch wenn wir unsere Keller geleert hatten, so war doch das Bedürfnis da, unsere Kinder sowie die Heimleitung wieder zu treffen und persönliche Themen vor Ort zu besprechen. Unsere Planung, so schnell wie möglich zu reisen, sobald es die pandemische Situation zulässt, stand auch dieses Jahr auf unsicheren Beinen. Fehlende Impfungen, unpassendes Timing wegen geschäftlichen Terminen sowie fixe private Termine verhinderten nochmals ein gemeinsames Reisen des gesamten Vorstandes. Am Ende entschieden wir, dass Judith beim erstmöglichen Termin fährt und dabei das Auto von Hans und Marie-Thérèse ins Kinderhaus überführt. Es war der Wunsch der beiden, ihren Peugeot auf diese Reise zu schicken, damit er im Kinderhaus noch viele schöne Fahrten ermöglicht und gute Dienste leistet.
Die Reise
Der Weg ist das Ziel. Das nahmen wir uns dieses Mal vor. Es sollten nicht die ganzen 1900 km so schnell wie möglich hinter uns gebracht werden, es sollte eine gemütliche Reise gen Osten sein, möglichst viel sehen von den Ländern, die wir durchquerten und auch an Orten Halt machen, die wir sonst links liegen lassen. Mit der Ungewissheit, wie einige Länder ihre eigenen COVID-Bestimmungen durchsetzen würden, oder wir allenfalls auch gezwungen wären, das Land auf dem direkten Transitweg zu queren, was bis anfangs Juli eine Bedingung für Ungarn war, machten wir uns auf den Weg. Unsere Reise startete am Sonntag-Morgen, 4. Juli in der Ostschweiz und führte uns via Österreich (Arlberg-Innsbruck-Wels), Tschechien (Budweis, Brno), Slowakei (Kosice), Ungarn (Debrecen) nach Rumänien. Dort schauten wir uns vor dem Eintreffen in Odorheiu die Städte Timosoara und Sibiu/Hermannstadt an. Und ich kann es nun bezeugen: Sibiu gehört ganz an die Spitze der schönsten Städte in diesem Land. Immer war ich daran vorbei gefahren, weil wir uns mit dem Bus nicht durch die Stadt quälen wollten, aber der Abstecher lohnt sich.
Da in Rumänien die Temperaturen auf 38–40 Grad kletterten, entschlossen wir uns, am Zielort ein Zimmer auf dem Land zu beziehen. Und wir fanden in Lupeni, 10 Minuten ausserhalb von Odorheiu eine gute Unterkunft.
Im Kinderhaus
Zwei Tage, Freitag und Samstag, blieben uns, um uns wieder auf den neusten Stand zu bringen und alles anzusehen, was sich in den vergangenen zwei Jahren geändert hatte.
Zuerst besorgten wir uns auf der Post die benötigten Marken für all die Briefe, die wir in den zwei Tagen an unsere Spender schreiben wollten. Wie immer ein kleines Abenteuer. Als die Frau hinter dem Schalter meine Bestellung über 75 Marken in die Schweiz erhielt, dauerte es einige Zeit und Gespräche mit ihrer Postkollegin und dem Chef, bis sie mir diese aushändigen konnte. Die Bezahlung klappte dann tadellos mit Kreditkarte. Die technologischen Fortschritte sind eines, was wir bewundern. Elektronische Autobahnvignette waren in Tschechien, Slowakei, Ungarn und auch Rumänien tadellos während der Reise online buch- und bezahlbar. Da könnten wir uns in der Schweiz eine Scheibe abschneiden.
Das Betreten des Kinderhauses war dann wieder ein emotionaler Moment. Gleich beim Eingang hängen über einem Strauss Blumen die Bilder vieler Menschen, die wir kennen und die es ermöglicht haben, dass es dieses Zuhause für die Kinder gibt. Traurig, dass viele nicht mehr unter uns sein können, in unseren Herzen sind sie aber immer dabei.
Agnes, die Heimleiterin, erwartet uns. Und auch Rika, die Übersetzerin, die uns die nächsten zwei Tage kostenlos unterstützen wird, ist wieder da. Wir sitzen dicht gedrängt im engen Büro von Agnes und lassen uns zu den neusten Entwicklungen berichten.
Zwischendurch besuchen wir «unsere» Kinder in den nebenan liegenden Räumen und im Kellergeschoss, in dem die wenigen Tageskinder, die in den Schulferien dageblieben sind, gerade fleissig an Leseübungen sind. Parallel dazu organisieren die fleissigen Helfer im Hintergrund das Überschreiben des Autos von Hans und Marie-Thé aufs Heim. Ganz speziell, das Auto von Vinz und Hans, den beiden Freunden, im Hof des Kinderhauses stehen zu sehen. Indirekt werden sie das Heim so noch lange unterstützen.
Am Nachmittag fahren wir nach Betfalva, wo das neue Kinderhaus entstehen soll. Wir sind natürlich gespannt und auch Agnes hält es kaum aus, uns ihr Schmuckstück zu zeigen. Als wir ankommen, steht ein schön gedeckter Tisch unter Apfel- und Kirschenbäumen und Andràs und Kathi, die Eltern von Agnes begrüssen uns überschwänglich. Und dann kommt die rumänische Gastfreundschaft in Form von Willkommensschnaps, Platten mit diversen Vorspeisen, Hauptgängen, Kuchen, Dessert, Kaffee. Ein Festessen wie es nicht schöner und besser sein könnte. Wir besuchen die Pferde, die schon auf der Koppel stehen und den Kindern Reittherapiestunden bescheren sowie machen einen Rundgang durch das alte Haus, das jetzt langsam renoviert wird. Nach diesem denkwürdigen Tag fahren uns Agnes und Levente zurück in unsere Unterkunft.
Am kommenden Tag machen wir dann einen gemeinsamen Ausflug auf die Zitadelle/Altstadt von Sighisoara. Vorher fahren wir aber zu dritt nochmals die Strecke nach Ocland. In früheren Jahren waren wir immer auf dem Land, 25 km von Odorheiu, in der Pension untergebracht. Viele schöne Erinnerungen haben wir daran. Hier haben wir sogar Vinz 80. Geburtstag gefeiert. Irmgard Wild war schon lange nicht mehr hier und auch ich wollte sehen, wie sich das Dorf verändert hat. Und einen Spontanbesuch bei Csaba und Gijöngi machen – wir dachten nicht daran, dass sie da wären. Aber das Glück lachte uns. Wir brauchten nicht aus dem Auto steigen, sprang Gijöngi schon von von ihrem Stuhl hoch. Und auch Csaba konnte es kaum fassen, uns zu sehen. Sogar ihre zwei Kinder Anita und Arnold waren da. Auch wenn Gijöngi 5 Jahre in Deutschland gearbeitet hatte, so spricht sie immer noch kaum deutsch, aber mit ihrer Tochter und einem Online-Übersetzer konnten wir dann doch das Neuste austauschen. Wie erschrocken sind sie, als wir vom Tod von Vinz und Hans berichten mussten. Sie konnten sich sogar daran erinnern, dass Hans immer heisse Milch zu seinem Kaffee geordert hatte. Und wir bekamen unaufgefordert auch ein Kännchen heisse Milch, als wir einen Kaffee bestellten, den wir natürlich auch auf Intervenieren nicht bezahlen durften. Die schöne Szekler-Kirche in Ocland war leider geschlossen, und wie wir später erfahren haben, ist auch der Pfarrer sehr jung im letzten Jahr verstorben. Er und seine Frau hatten uns vor einigen Jahren noch in deutscher Sprache durch die Kirche geführt.
Nach diesem denkwürdigen Abstecher nach Ocland haben wir noch etwas Zeit und besuchen das Grab von Zsuzsa auf dem städtischen Friedhof. Hans und ich hatten vor 6 Jahren, als wir nach ihrer Beerdigung von hier wegfuhren etwas Angst, was aus unserem Werk werden würde. Aber sie hatte vorgesorgt und mit ihrer Schwester ist eine Persönlichkeit in diese Lücke gesprungen, die zwar anders funktioniert, aber die Organisation mit Entschlossenheit weiterentwickelt.
Nun wollten wir aber noch Sighisoara entdecken. Agnes war noch nie da und auch ich bin immer nur daran vorbeigefahren. Meiner Meinung nach waren aber Hans und Marie-Thé auf ihrer Reise schon in dieser schönen Altstadt, die an diesem Samstag vor Leben sprühte und vor allem rumänische Touristen aus dem Süden des Landes anlockte. Gaukler und Musikanten rundeten das mittelalterliche Ambiente mit den malerischen Häusern, Burgen, Türmen und Kirchen ab. Die Autonummern verrieten, dass vor allem Rumänen aus den Bezirken Bukarest und Richtung Donaudelta in den Hügeln der Harghita Ferien machten. Im Gegensatz zu ihrer Heimat ist die Harghita immer noch sehr wild und ursprünglich.
Nach dem Besuch von Sighisoara fahren wir das Auto aus der Schweiz in den Innenhof von Agnes Eltern, entfernen die Nummernschilder und lassen uns in die Pension zurückfahren. Es wartet noch einiges an Arbeit auf mich, wir wollen knapp 70 Briefe an unsere treusten Spender in der Schweiz versenden. Und davon ist erst die Hälfte geschrieben.
Am Sonntag ging unser Flug am Nachmittag zurück in dieSchweiz und Agnes, unsere Heimleiterin, empfahl uns, rechtzeitig loszufahren, da die Staus Richtung Bukarest am Sonntag bekannt wären. Sie liess es sich nicht nehmen, zusammen mit ihrem Betreuer Levente, uns nach Bukarest zu bringen. Was für eine anstrengende Reise für sie, zweimal 5 Stunden im Auto. Selber auf den Rollstuhl angewiesen, ist das Sitzen im Auto sicher nicht angenehm, vor allem auf den Bergstrecken über die Karpaten.
In der Nähe von Brasov hält Levente plötzlich und wir sehen – zum ersten Mal seit rund 15 Jahren, in denen wir dieses Land bereisen – einen Bären. Nur ca. 2–3 Meter von uns entfernt hinter der Leitplanke. Bis ich eine Foto machen kann, ist das Fellbündel schon fast wieder in den Büschen verschwunden. Für uns eine tolle Begegnung, für die Menschen in der Region nicht immer erfreulich, wenn die Bären ihnen die Hühner vom Hof holen und den Kindern gefährlich nahe kommen.
Nach fünf Stunden Fahrt, statt vier, wie unser Navi meinte, treffen wir rechtzeitig in Bukarest ein. Und wir sind froh um eine schöne Reserve am Flughafen. Wegen eines Buchungsfehlers der Swiss brauchen wir fast zwei Stunden, um einzuchecken. Wir hatten gedacht, dass es wegen der COVID-Zertifikate zu Verzögerungen kommen könnte, aber dafür interessierte sich niemand.
Diese wie alle Reisen nach Rumänien bezahlen wir immer privat. Es wird kein Spendengeld dafür verwendet.