4. Reise nach Odorheiu-Secuiesc – Mai 2009
Nachdem wir im Mai 2008 so einfach mit dem Auto nach Odorheiu gelangt waren, war klar, dass wir öfters reisen würden. Genau ein Jahr später war es wieder soweit. Schon Wochen vorher hatten wir von überall her schöne Sachen bekommen und selber noch einiges eingekauft, das wir mitbringen wollten.
In der Garage Gerbsch in Ittigen bekamen wir dann auch wieder günstig ein Auto, das wir am 13. Mai bis unters Dach beluden. Schade, dass ein kurz vorher gespendetes Kindervelo keinen Platz mehr hatte – das wird aber im nächsten Jahr im Kinderheim Freude bereiten.
Die Sachen von Hans, Marie-Thé und Vincent wurden in Bern am Mittag eingeladen, danach leerte sich auch der Keller in Burgdorf noch, bevor wir noch in der Ostschweiz einen Halt machten und die letzten Lücken noch stopften. Bei der Familie Wild übernachteten wir dann auch, bevor wir am Morgen um 4 Uhr losfuhren.
Über München, Salzburg, Wien, Budapest führte unsere Reise uns am ersten Tag bis nach Mako, ganz im Süden von Ungarn. Dort übernachteten wir in einer wunderhübschen Pension, bevor wir am Morgen wieder früh um 5 aufbrachen, damit wir es bis am Nachmittag nach Odorheiu-Secuiesc schafften. Die Grenze nach Rumänien passierten wir ganz einfach, die zwei Beamten liessen uns sofort passieren und wollten gar nicht wissen, was wir alles im Auto geladen hatten.
Die letzten gut 500km auf den rumänischen Strassen waren dann nochmals eine kleine Geduldsprobe, aber wir kannten die Strecke schon recht gut und freuten uns über jede Stunde, die wir dem Ziel näher kamen.
Nach genau 1900km trafen wir am 14. Mai ein. Sehnsüchtig erwartet von Zsuzsa, ihrem Personal und den Kindern. Das Wetter war schon so schön, dass sie alle im Hof am Spielen waren. Zsuzsa wartete wie gewohnt an ihrem Plätzchen in der Küche. Und es ist wie ein Wunder – sie ist zwar sehr schwach und unheimlich dünn, aber der Muskelschwund scheint seit ein paar Jahren wie gestoppt. Sie strotzt vor Tatendrang und hat das Heim gut im Griff.
Das sollten wir dann am nächsten Tag noch im Detail sehen. Am Freitag packten wir alle Sachen noch aus, fleissig wurden sie sofort aussortiert und an den unterschiedlichen Orten versorgt. Wir staunen immer, wie es in einem so kleinen Haus mit nur 5 Zimmern so tadellos ordentlich sein kann.
Den Katzensprung nach Ocland, 25 km zu unserer liebgewonnenen Pension ist dann schnell gemacht. Wir fühlen uns schon daheim hier und schauen immer genau, was sich alles verändert hat. Sind die Störche noch auf den Dächern, hats ein neues Haus im Dorf gegeben, sind die Fischer im wunderschönen Seengebiet schon da? Ocland scheint unverändert, nur die Strasse wurde endlich geflickt und hunderte von Schlaglöchern sind verschwunden, wer weiss wie lange?
Am Samstag dann unser Besuch im Heim mit Studium der Buchhaltung. Csilla, die Buchhalterin ist extra aus Ungarn gekommen und kann uns auf alle Fragen detailliert Auskunft erteilen. Da die Unterlagen auf Rumänisch abgefasst werden müssen, verstehen wir zumindest einen Teil – mit ungarisch wäre das kaum möglich. Csilla spricht aber auch gut deutsch. Wie immer ist jeder ausgegebene und eingenommene Lei fein säuberlich dokumentiert. Wir schaffen es nicht, das ganze vergangene Jahr anzuschauen und nehmen uns einfach ein paar Monate heraus, die wir genauer studieren.
Immerhin haben sich der Staat und insbesondere auch die Stadt etwas an ihre Pflichten erinnert. Es ist aber klar, dass der Beitrag von 1 Euro pro Kind und pro Tag nicht reicht. Rettet Kinder ist immer noch der wichtigste Geldgeber. Ohne unseren Verein könnten die Löhne, Mieten und auch Gas und Elektrisch kaum bezahlt werden. Die Versorgung der Kinder mit Nahrung ist viel besser geworden. Sie bekommen nun täglich mindestens 2 warme Mahlzeiten und die dünne Suppe, die wir in den vergangenen Jahren auf den Tischen sahen, ist zwar nicht verschwunden, aber sie wird ergänzt mit Gemüse, Teigwaren, Fleisch. Zsuzsa hatte sich insbesondere etwas Nahrhaftes fürs Morgenessen gewünscht und unsere M-Budget Birchermüesli waren hochwillkommen. Wir staunen, wie die Kinder erstmals auch zu wachsen scheinen. Der kleine Christoph entwickelt sich prächtig und sieht im Jäckchen, das ihm Irmgard gestrickt hat, wunderbar aus.
Der Nachmittag gehört ganz dem Workshop. Wir laufen die kurze Strecke durch die Stadt und treffen auf 5 fleissig Arbeitende und 2 Betreuerinnen, die alle Hände voll zu tun haben, um die etwas schwierigeren Jungen unter Aufsicht zu haben und sie zum Mitmachen anzuhalten. Die Auswahl an kleinen Kunstwerken ist inzwischen gross, trotzdem bringen sie finanziell nicht den Erfolg wie konkrete Aufträge, die sie ab und zu von der Wirtschaft oder örtlichen Parteien erhalten. Der Wert der Arbeit darf aber nicht unterschätzt werden. Wie sind die Jugendlichen stolz, wenn sie an ihre Arbeitsstelle laufen dürfen. Noch vor wenigen Jahren waren Behinderte in der Gesellschaft geächtet – ein behindertes Kind zu haben, bedeutete, dass man sich kaum mehr eine Wohnung mieten konnte. Niemand wollte mit ihnen zu tun haben. Die Kinder und Jugendlichen von Bice Boca sind sauber gekleidet und inzwischen in der Stadt bekannt.
Immer mehr Mütter suchen das Heim auf, wenn sich ihr Kind nicht wunschgemäss entwickelt und sie nehmen die Therapien gerne in Anspruch, die ihnen dort geboten werden. Inzwischen befürwortet die Stadt sogar ein eigenes Therapiezentrum am anderen Ende der Stadt, da die beengten Verhältnisse im Heim die dort lebenden Kinder zunehmend einengen und der einzige Therapieraum im Keller der Nachfrage nicht mehr gerecht wird. Ausserdem ist das Heim mit dem Auto schlecht erreichbar, da die Parkplätze weiter entfernt sind.
Die Stadt würde das neue Zentrum für Behinderte und die dort arbeitenden Therapeuten kostenlos zur Verfügung stellen, Zsuzsa wird als Leiterin eingestellt. In wenigen Monaten soll es soweit sein. Das Behindertenheim bleibt am alten Ort bestehen, die dort lebenden Kinder und Jugendlichen lassen sich nur schwer an einen neuen Ort verpflanzen. Das neue Therapiezentrum konnten wir bereits besichtigen.
Den Sonntag, unseren letzten Tag, verbringen wir bei sehr heissen Temperaturen in Ocland. Vincent hat Zsuzsa und ihre Eltern sowie Freunde aus Brasov eingeladen, mit uns zu essen und den Tag zu verbringen. In der entspannten Atmosphäre können wir über den ungebremsten Tatendrang von Zsuzsa staunen, die alles macht, um ihren Kindern und Jugendlichen ein würdiges Menschsein zu ermöglichen. Die Fortschritte geben ihr Recht. Am Montag fahren wir früh um 5 Uhr ab, da die Reise bis zur ungarischen Grenze wieder beschwerlich sein wird. Wer hätte gedacht, dass wir an diesem Tag noch ganze 1650 km fahren und nachts um 1 Uhr wieder bei der Familie Wild in der Ostschweiz eintreffen würden? Es ist selbstverständlich, dass Judith und Vincent alle Kosten für Übernachtung, Verpflegung, Benzin, Gebühren und Geschenke selber getragen haben. Einzig die Kosten für das Mieten des Autos werden von Rettet Kinder übernommen. Wir freuen uns bereits auf unseren Besuch im Mai 2010 – dann wollen wir noch ein grösseres Auto mit Waren füllen.
Vincent Blum und Judith Krauer
Im Juni 2009